Wenn Wissenschaftler über KI fantasieren und sie mystifizieren

Anlass des Blog ist ein Interview des Spiegels mit dem Forschungsgruppenleiter am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Herr Schulz. Das Interview hat den Titel:

„Wenn KI Angst bekommt, wird sie rassistisch“.

(Spiegel Nr 18 vom 29. April 2023, Seite 96).

In der Überschrift zum Interview werden zwei Aussagen über ChatGPT gemacht:

  • die KI zeigt menschliche Gefühle wie Angst und wird dann rassistisch.

Damit wird der Eindruck vermittelt, die generative KI, wie ChatGPT, zeige menschliches Verhalten.

Wenn hochrangige Wissenschaftler auf die Idee kommen, Datenverarbeitung mit menschlichen Gefühlen und Verhalten gleichzusetzen, dann mystifizieren sie die KI. Dieser Blog soll dem entgegenwirken.

Die Zitate aus dem Interview zeigen, dass sowohl der Spiegel als auch der Wissenschaftler Schulz kein tiefgründiges Verständnis über mathematischen Methoden und Arbeitsweisen von ChatGPt haben. Der Wissenschaftler Schulz geht davon aus, dass menschliche Emotionen messbar sind.

Eine grundlegende Problematik der Mystifizierung von ChatGPT liegt darin, dass Erscheinungsform mit Wesensmerkmal verwechselt oder gleich gesetzt werden. ChatGPT erscheint in seinen Antworten menschlich. Chat GPT ist das Ergebnis einer bestimmten Form der Datenverarbeitung durch einen oder mehrerer Hochleistungsrechner auf der Basis von sehr großen Datenmengen.

Eigentlich kann jeder mit gesunden Menschenverstand schon darauf kommen, dass Rechner nicht vergleichbar sind mit komplexen menschlichen Lebewesen. Im Umgang und der Bewertung der KI scheint der gesunde Menschenverstand nicht nur in diesem Interview keine erkenntnisleitende Funktion zu haben.

Wenn die generative KI nach wie vor Datenverarbeitung auf Basis der angewandten Mathematik der Informatik ist, dann handelt es sich im Kern um die Frage, ob mathematische Methoden die Spezifik menschlicher Emotionen überhaupt messen oder erfassen können?

Ich verneine diese Frage, in dem ich die Wesensbestimmung der menschlichen  Psyche und ihrer Emotionen darlege und zeige, dass sich das Wesen des Psychischen und der Emotionen schon in ihren Grundformen der mathematischen Messbarkeit entziehen.

Dass Wissenschaftler wie Schulz von der Messbarkeit ausgehen, liegt daran, dass sie keinen wissenschaftlich geklärtes Grundverständnis über das Psychische haben. Sie bewegen sich damit auf dem Niveau wissenschaftlich stilisierten Alltagstheorien. Wegen des fehlenden Gegenstandsverständnisses kann Schulz die Frage nicht seriös beantworten, ob mathematische Methoden  sich für psychologische Fragestellungen überhaupt eignen.

Die Frage, worin sich unser menschliches Gehirn von Hochleistungsrechner und ihre Formen der Datenverarbeitung unterscheidet, habe ich ausführlich in einen anderen Blogbeitrag behandelt.

Für interessierte Leser:innen empfehle ich meinen Blogbeitrag über die wissenschaftliche Unklarheit des Intelligenzbegriffs, wie er in der Psychologie verwendet wird. Einen ungeklärten Begriff der Intelligenz für die Erklärung moderner Datenverarbeitung zu nutzen, erklärt nichts und ist daher maximal ein erfolgreicher Marketingbegriff.

Das Interview beginnt mit der Darlegung, dass der Forscher Schulz ChatGPT mit bestimmten psychologischen Methoden untersucht und seine Reaktionen fest stellt. Seine Methoden beruhen auf der Annahme, dass man Emotionen von Menschen durch Befragungen messen kann.

Schulz führt die Messung der Emotionen durch eine sog. Emotions-Induktionsmethode aus. Eine Methode, die häufig in Experiementen eingesetzt wird,  um menschliche Emotionen zu erkennen und zu messen. Dabei werden Versuchsperson gebeten, möglichst detailliert Situationen zu beschreiben, in denen sie Angst haben.

ChatGPT zeigt nach Aussage von Schulz bei Anwendung der o.g. Methode  ein ähnliches Verhalten wie Menschen in den Versuchen. Schulz geht davon aus, dass er der KI damit Angst induziert hat.  Schulz scheint den Begriff  induziert in dem Sinne zu benutzen, dass er er ChatGPT durch seine Methoden in die Angst hineingeführt hat.

An dieser Stelle lohnt es sich auf die Arbeitsweise von ChatGPT etwas näher einzugehen.

ChatGPT generiert Inhalte aufgrund von Fragen, die man der KI stellt. Diese Inhalte werden auf der Basis mathematischer Algorithmen erstellt. Das  trainierte Sprachmodell generiert dabei immer die sprachlich wahrscheinlichste Lösung des menschlichen Sprachraums. Datenbasis sind die von Menschen erzeugten Inhalte im Internet. OpenAI crawlt riesige Datenmengen im Internet und speichert diese in sehr großen Datenbanken ab. ChatGPT zerlegt User-Fragen in einzelne Bestandteile. Aus den Einzelteilen der Fragestellung setzt die KI aus riesigen Datenbeständen durch optimierter Algorithmen die Inhalte zusammen, die aufgrund der Analyse der Frage am wahrscheinlichsten ist.

Wenn ChatGPT also nach dieser Logik optimal mathematisch und zuverlässig funktioniert, generiert es bei Fragen nach menschlicher Angst, die Datenbestände menschlicher Angst, die es in den Datenmengen findet und die am wahrscheinlichsten zur gestellten Frage passen.

ChatGPT ist also eine riesige Echokammer, die auf der Basis der von Menschen erzeugten Daten Content erstellt. Unterstellt man nun aufgrund des Antwortverhaltens der KI, dass diese Angst  hat, verwechselt man das Echo mit einem Menschen. Das Echo ist nur die akustische oder hier die datentechnische Reaktion der Fragenden und keine eigenständige Person.

Damit ist die aus meiner Sicht die Substanzlosigkeit der Gleichsetzung von KI mit menschlichen Gefühlen dargelegt und die erste Frage des Blogs beantwortet:  Die Gleichsetzung von KI mit menschlichen Emotionen ist nicht zulässig. Hier wird die Erscheinungsform mit Wesensmerkmalen gleichgesetzt.

Offen ist noch die Frage, ob menschliche Emotionen messbar sind und damit die KI als fortgeschrittene Methode der Messbarkeit und helfen kann, die menschlichen Emotionen besser zu verstehen.

Ich beschreibe nun, was die Wesensmerkmale der Psyche  und ihrer Emotionen sind. Hierzu bediene ich mich der umfangreichen Ergebnisse einer Naturgeschichte des Psychischen und der kategorialen Grundlegung der Psychologie.

Warum wähle ich diese Quellen der Wissenschaft?

Die Frage einer wissenschaftlichen und damit eines verallgemeinerten Verständnisses über das Psychische und ihrer Emotionen unterliegt einer naheliegenden praktischen Erkenntnisregel:

Der Gegenstand oder das Wesensmerkmal bestimmt die Methode seiner wissenschaftlichen Erforschung.

Des weiteren bauen die o.g. wissenschaftlichen Erkenntnisse auf der Übereinkunft der Wissenschaft aus, dass alles Leben auf der Erde durch die Evolution entstanden ist und das Menschen eine gesellschaftliche Form der Lebensgewinnung entwickelt haben.

Um die o.g. Frage zu beantworten, reicht es aus meiner Sicht aus, die Grundform des Psychischen und einer ihrer zentralen Funktion der Emotionalität zu bestimmen. Wenn die Grundform des Psychischen sich der mathematischen Messbarkeit entzieht, entziehen sich alle anderen auf der Grundform aufbauenden Entwicklungen des Psychischen ebenfalls der Meßbarkeit. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass evolutionäre Entwicklungen aufeinander aufbauen, ohne das die vorherigen Spezifiken grundlegend verloren gehen.

Die Psyche zeigt ein interessantes und allgemein anerkanntes Gegenstandsmerkmal: Es wird allgemein anerkannt, dass es im zentralen Nervensystem und insbesondere im Gehirn verankert ist, dort aber als solche nicht unmittelbar beobachtbar oder messbar ist. Alle Aussagen über das Psychische werden vermittelt über biologische, neurowissenschaftliche, medizinische und Interpretationen über menschliche Aktivitäten und Verhaltensweisen gewonnen.

Weiter geht man in der Wissenschaft im Gegensatz zu Religionen davon aus, dass mit dem Tod auch die psychischen Aktivitäten enden, also keine Trennung von Körper, Geist oder Seele stattfindet.

Will man die Wesensmerkmale des Psychischen erkennen, muss man die Frage beantworten, wie kommt das Psychische im Laufe der Evolution in die Lebewesen und welche Funktion sowie welche Selektionsvorteile hat es für das Leben gehabt.

Das Psychische ist in ihrer Grundform eine Widerspiegelungsfunktion von Lebewesen. Es befähigt Lebewesen anhand von stoffwechselneutralen Umweltgegebenheiten sich gezielt zu orientieren. Das nennt russische Psychologe Alexei Nikolajewitsch Leontjew „Sensibilität“ als Grundform des Psychischen. Sie unterscheidet sich fundamental von der Reizbarkeit.

Die Sensibilität als Grundform des Psychischen ist notwendig geworden, weil durch die Abkühlung der Erde feste Strukturen entstanden.  Damit waren die Lebewesen gezwungen, artspezifische Bedeutungsstrukturen anhand einer festen und konstanten Umwelt zu entwickeln, weil die Nahrungsaufnahme nicht mehr über Osmose oder ähnliche stoffwechselprozesse direkt an der Oberfläche der Organismen aufgenommen werden konnte. Sie mussten sich also bewegen und anhand von Umweltgegebenheiten orientieren. Es ist in der Neurowissenschaft allgemein anerkannt, dass unser Gehirn aufgrund von Bewegung entstanden ist. Pflanzen, die sich nicht bewegen,  haben kein zentrales Nervensystem und Sinnesorgane entwickelt.

Die Orientierungaktivitäten der Lebewesen gliederten sich in eine Hinführungsaktivität und eine Ausführungsaktivität. Die Hinführungsaktivität orientiert sich an stoffwechselneutrale Umweltgegebenheiten. Die Ausführungsaktivität vollzieht  z.B. eine stoffwechselrelevante Aktivität.

Als Beispiel soll uns ein Frosch dienen. Dieser hat sehr gute Ohren. Er kann aber schlecht sehen. Er hat eine lange klebrige Zunge, mit der er Fliegen fangen kann. Damit der Frosch nun eine Fliege erfolgreich fängt, muss er das Geräusch des Flügels der Fliege so exakt zur Länge seiner Zunge einschätzen, dass er mit ausgestreckter Zunge die Fliege fangen kann.

Das Geräusch des Flügels ist stoffwechselneutral und dient dem Frosch als Hinführungsaktivität. Nähert sich die Fliege dem Frosch, wird das Geräusch des Flügelschlags lauter. Der Frosch spiegelt die Lautstärke des Flügelschlags mit der Entfernung wider, die der Länge seiner Zunge entspricht, um die Fliege erfolgreich zu fangen.

Es wird deutlich, dass das Psychische diese Orientierungsfunktion nur mit ausgebildeten Sinnesorganen realsieren kann. Das Psychische ist eine artspezifisch inhaltliche Widerspiegelungsfunktion, die sich von der physologischen Reizbarkeit, wie wir sie in Nervensystemen messen können, deutlich unterscheidet. Die psychische Widerspiegelung ist zwar an Nervenaktivitäten gebunden. Sie ist aber mit dieser nicht gleichzusetzen.

Soweit ein Organismus darauf angewiesen ist, Nahrungsstoffe aufzusuchen, benötigt er einen internen Anlass. Ein Organismus assimiliert (verbraucht) zur Aufrechterhaltung seines Lebens Energie. Das Nervensystem muss also eine innere Bewertung erzeugen (Valenz), die für den Organismus ein zuverlässiges Signal ist, die relevanten Stoffe aufzusuchen, die er für die erfolgreiche Reproduktion benötigt. Die Psyche ist schon in ihrer Grundform der Sensibilität eine objektive Widerspiegelung und Bewertung innerer Zustände und äußerer dafür geeigenten Umweltgegebenheiten für die erfolgreiche Reproduktion.

Die Emotionalität als psychische Teilfunktion ist artspezifisch inhaltlicher Natur, damit die Lebewesen die jeweils notwendigen und gezielten Aktivitäten vornehmen können. Die Emotionen, die eine Aktivitäten zur Nahrungsaufnahme hervorruft muss eine andere sein als die, die zu einer Flucht führt.

Das Psychische ist in seiner grundbegrifflichen Bestimmung eine komplexe und dynamische artspezifische Resonanz zwischen Organismus und Umwelt.  Das Wesen der Resonanz ist, dass sie ein Antwortverhältnis zwischen zwei unabhängigen Polen (hier Organismus und Umwelt) aktiv herstellt. Die Resonanz ist nicht beliebig manipulierbar, weil beide Pole (Umwelt und Organismus) unterschiedlicher Natur sind. Sie treten erst durch die Resonanz in eine spezifische Beziehung. Resonanz wohnt nach  Hartmut Rosa  damit „ein unaufhebares Moment der Unverfügbarkeit inne.“ (Hartmut Rosa in Resonanz, Seite 194).

Das Wesen der Mathematik sind logische Bedingtheiten, also Festlegungen. Aus A folgt B. Das Psychische ist zwar an Bedingungen geknüpft. Sie ist in ihrem Wesen eine komplexe und dynamische Widerspiegelungsfunktion, die nach einer anderen Logik als eine mathematische Logik funktioniert. So können z.B. Gefühle eines Menschen durch Sachargumente, seien sie noch so logisch und richtig, nicht verändert werden. Menschliche Gefühle sind Botschafter von subjektiven Bedürfnissen und ändern sich nur, wenn Subjekte entweder ihre Bedürfnisse erfüllen oder ihr Verhältnis zu ihren Bedürfnissen ändern.

Damit ist die zweite Frage des Blogs beantwortet. Die Mathematik eignet sich nicht, das Wesen der Psyche und ihre grundlegenden Funktion zu messen. Der Versuch mit der Mathematik die Psyche zu messen, ist vergleichbar mit dem Versuch, mit einem Hammer Suppe zu löffeln. Die methodische Gegenstandsverfehlung wird auch nicht dadurch aufgehoben, in dem man nun versucht mit einem elektronischen Hammer – in Form einer – KI Suppe zu löffeln.

 

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